Brand in Gartenlaube -Volle Dosis- (Folge 6)

Du wirst mit deiner erfahrenen Kollegin (Rettungssanitäterin) am frühen Freitagabend gegen 19:25 Uhr zu einem Notfalleinsatz alarmiert. Du hilfst heute auf einer ländlichen Wache aus, die sich am Rande des Rettungsdienstbereichs befindet. Die Meldung lautet: „Bereitstellung Feuerwehr – Gartenhüttenbrand“. Während der 12-minütigen Anfahrt teilt euch die Leitstelle über Funk mit, weitere Anrufer hätten berichtet, dass ein älterer Herr Löschversuche mit einer Gießkanne unternimmt. Auf deine Nachfrage hin erfahrt ihr, dass noch keine  Kräfte der Feuerwehr vor Ort sind, die Hütte jedoch bereits in Vollbrand steht. Beim Blick aus der Windschutzscheibe ist weithin eine Rauchsäule zu sehen.

Beim Eintreffen an der Einsatzstelle winkt euch ein Passant hektisch heran und führt euch zu einem ca. 65 Jahre alten Mann. Er ist beim Versuch, das Feuer zu löschen in die Explosion einer Grillgasflasche geraten und schreit seitdem vor Schmerzen berichtet der Feuerwehrmann. Auf den ersten Blick erkennt ihr rotschwarze Blasenbildung an beiden Arme und starke Rötungen des gesamten Brustkorbs. Die Gesichtsbehaarung ist versengt. Die Arbeitshose des Patienten scheint nicht beschädigt zu sein.

Verbrennungen werden definiert als eine thermische Verletzung mit Gewebsschäden durch auslösende Faktoren wie Hitze, Flüssigkeiten, Dampf, Gase, Strahlen, oder Strom.

Wichtig sind hier jeweils die Expositionsdauer und Höhe der Temperatur.

Das Outcome der Betroffenen ist abhängig vom Verbrennungsausmaß, der Tiefe, der Komorbidität (also den Begleitverletzungen) und einer qualitativ hochwertigen Versorgung. 

Zur Beurteilung der verbrannten Körperoberfläche (vKOF):

Zur groben Abschätzung der beteiligten Körperoberfläche bietet sich die Neuner-Regel nach Wallace an. Abschnitte des Körpers werden mit 9% gezählt. Der Kopf und die Arme sind jeweils 9%, der Rumpf vorne und hinten jeweils 18% und die Beine pro Bein nochmal 18%. Der Genitalbereich zählt mit 1% dazu und somit kommen wir beim gesamten Körper auf 100% Oberfläche.

Um bei kleineren Flächen (unter 15% vKOF) oder fleckig angeordneten Verbrennungen differenzierter entscheiden zu können, bietet sich die Handflächenregel an. Die Handfläche der betroffenen Person (INKLUSIVE FINGER) entspricht 1% der KOF.

1er und 9er - Regel
1er und 9er – Regel

Gradeinteilung von Verbrennungen:

Übersicht Verbrennungsgrade

Versorgung

A / B: Inhalationstrauma

Wir haben zum einen die Inhalation giftiger Noxen und zum anderen das Einatmen großer Hitze.

Bei Symptomen wie versenkten Nasen- und Gesichtsbehaarung, Rußablagerungen und vor allem einem obstruktiven Atemweg müssen alle Alarmglocken angehen. Neben hochdosierter Sauerstoffgabe können wir medikamentös in zwei Richtungen gehen.

Auskultieren wir ein isolierten exspiratorischen Stridor und eine Spastik liegt das Problem in den unteren Atemwegen. Hier sollte Salbutamol und Atrovent vernebelt werden.

Sind die Symptome nach einer Hitzeexsposition eher Schleimhautschwellung, geröteter, verbrannter Mund-Rachenraum, inspiratorischer Stridor, ist das Adrenalin vernebelt das Mittel der Wahl.

Hier entsteht die zunehmende Atemnot durch die Zuschwellung des oberen Atemweges. Hier können wir uns an der Handlungsempfehlung Anaphylaxie orientieren. schon vorausgeplant werden und an eine frühzeitige endotracheale Intubation gedacht werden.

C: Volumenmanagement

Hier kann man sich als Faustformel maximal 1000ml Vollelektrolytlösung in den ersten 2h merken. Also präklinisch nicht mehr als 1L Flüssigkeit für die Patient*innen.

(10er Regel: vKOF auf die nächsten 10% x 10 = Volumentherapie (Bsp. 15% vKOF: 20 x 10=200ml)

E: Wärmeerhalt

Der Wärmeerhalt, oder die Hypothermieprophylaxe ist ein sehr wichtiger Punkt.

Die Leitlinie zu thermischen Verletzungen spricht von über 80% der Patient*innen, mit größer 15% verbranntem Areal, welche hypotherm in der Klinik ankommen. Einige Studien sehen die Unterkühlung als wichtigen negativ Faktor für Prognose und Behandlungsverlauf.

Die Patientengruppe profitiert immens von einem vernünftigen und zügigen Wärmeerhalt.

Auch das frühzeitige Aufheizen des RTW’S ist eine zielführende Unterstützung. (Hier bereits während der Anfahrt vorausplanen.)

Das ist doch auch der entscheidende Punkt, warum wir als Rettungsdienstpersonal keine aktive Kühlung durchführen.

Medikamente

Adrenalin stimuliert a und ß Adrenorezeptoren und führt so zu einer Vasokonstriktion, herabgesetzter Gefäßpermeabilität und somit zur Reduktion von Ödemen. Gerade bei beginnendem oder manifestiertem Larynxödem machen wir uns die Wirkung zu Nutze. Zudem haben wir zusätzlich durch die ß2 Wirkung eine Bronchodilatation. Betrachten wir die Leitlinien1S2k – Leitlinie „Behandlung thermischer Verletzungen des Erwachsenen“ https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/044-001l_S2k_Thermische__Verletzungen_Erwachsene_2018-12.pdf und Handlungsempfehlungen, sollen 2-3mg Epinephrin vernebelt werden. Durch den schnellen Wirkeintritt zeigt sich im Idealfall eine rasche Verbesserung.

Die einsatztaktischen Überlegungen beginnen bereits auf der Anfahrt. Hierfür können wir die 4-S-Matrix 2Luxem J., Runggaldier K., Karutz H., Flake, F. (Hrsg.) (2020) Notfallsanitäter Heute. Urban & Fischer Verlag zu Hilfe nehmen und uns über das Szenario, die Sicherheit, die Situation bei Eintreffen an der Einsatzstelle und die Unterstützung (Support) Gedanken machen. Die folgende Grafik greift die wichtigsten Aspekte hierzu nochmal auf:

4S-Matrix

An der Einsatzstelle angekommen, ist eine erste Lagemeldung auf Sicht von enormer Wichtigkeit. Mit ihr kann die Leitstelle die gemeldete Lage besser einschätzen und nachrückende Kräfte haben die Möglichkeit, sich bereits auf der Anfahrt Gedanken zur konkreten Situation zu machen. Die Lage auf Sicht kann als erster Blick auf die Situation beschrieben werden, die man vom RTW auf die Lage erhält. Wenn sich bei der ersten Erkundung an der Einsatzstelle weitere Informationen herausstellen, so müssen diese in weiteren Lagemeldungen an die Leitstelle übermittelt werden.

An der Einsatzstelle entstehen viele unterschiedliche Gefahren für die Rettungskräfte. Zur Beurteilung der unterschiedlichen Gefahrenquellen kann das 4A-C-4E-Schema 3Günther A., Baller G., Bsullak-Trepte M., et al. (2014) Notfallsanitäter – Lehrbuch für den Rettungsdienst. Cornelsen Verlag verwenden. Dieses findet ihr in unserer Taschenkarte kompakt zusammengefasst und bereit für die Einsatzjacke. Unbedingt muss man sich sobald möglich mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr kurzschließen. Er hat die Gesamteinsatzleitung und entscheidet gemeinsam mit den Abschnittsleitern über das Vorgehen an der Einsatzstelle. Maßnahmen, welche die Patientenrettung oder das Arbeiten in Gefahrenbereichen betreffen, müssen unbedingt mit den Spezialkräften der Feuerwehr abgesprochen und koordiniert werden.

Für die nachrückenden Kräfte des Rettungsdienstes empfiehlt es sich bei größeren Lagen, einen Rettungsmittelhalteplatz zu definieren. Dadurch vermeidet man ein Verkehrschaos an der Einsatzstelle und blockiert keine Abfahrtswege für Patiententransporte in die Klinik. Im hier vorliegenden Fall muss frühzeitig über einen Transport mittels Rettungstransporthubschrauber nachgedacht werden, um weitere Transportstrecken in ein Verbrennungszentrum schnell und schonend durchzuführen. Wir haben eine Taschenkarte mit Einsatztaktischen Überlegungen im Rettungsdienst erstellt und verlinken sie euch hier. Gebt uns gerne Feedback zum Inhalt und dem praktischen Nutzen im Einsatzfall.

Menschen machen vorhersehbare Fehler. Das weiß jeder, der schon einmal genüsslich dabei zugesehen hat, wie jemand an einer Tür zieht, an der fett „Drücken“ steht. Während solche vorhersehbare Fehler zu unserer Belustigung beitragen, können Sie in hochkomplexen Arbeitsumgebungen schnell zum Tod von Menschen führen. Damit es nicht so weit kommt, ist es wichtig, dass wir uns dieser Tatsache bewusst sind. Gaba & Rall haben sich ausführlich mit Fehlern in der Medizin befasst und haben 15 Grundsätze identifiziert, die die Sicherheit von Patientinnen, Patienten und Personal erhöhen.4Rall M., Langewand S. (2016) Für bessere und sicherere Zusammenarbeit: Crew Resource Management (CRM) im Rettungsdienst. In: Neumayr A., Baubin M., Schinnerl A. (eds) Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48071-7_4 Damit sind Kommunikation und das Management unserer Crew (sog. Crew Ressource Management) das Äquivalent zu Untersuchungshandschuhen und Schutzbrille.

Hier sind die 15 Grundsätze für euch aufgelistet:5Rall M., Langewand S. (2016) Für bessere und sicherere Zusammenarbeit: Crew Resource Management (CRM) im Rettungsdienst. In: Neumayr A., Baubin M., Schinnerl A. (eds) Risikomanagement in der prähospitalen Notfallmedizin. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-48071-7_4

  1. Kenne Deine Arbeitsumgebung (Technik und Organisation)
  2. Antizipiere und plane voraus
  3. Fordere Hilfe an – lieber früh als spät
  4. Übernimm die Führungsrolle oder sei ein gutes Teammitglied mit Beharrlichkeit
  5. Verteile die Arbeitsbelastung (10-für-10-Prinzip)
  6. Mobilisiere alle verfügbaren Ressourcen (Personen und Technik)
  7. Kommuniziere sicher und effektiv – sag was Dich bewegt
  8. Beachte und verwende alle vorhandenen Informationen
  9. Verhindere und erkenne Fixierungsfehler
  10. Habe Zweifel und überprüfe genau (Double check; nie etwas vermuten)
  11. Verwende Merkhilfen und schlage nach
  12. Re-evaluiere die Situation immer wieder, wende das 10-für-10-Prinzip an
  13. Achte auf gute Teamarbeit, andere unterstützen und sich koordinieren
  14. Lenke Deine Aufmerksamkeit bewusst (Situation awareness)
  15. Setze Prioritäten dynamisch

Aber auch in der Kommunikation können Fehler passieren. Das liegt daran, dass wir in den seltensten Fällen mit uns selbst kommunizieren. In aller Regel ist mindestens ein anderes Gehirn mit einer anderen Entwicklung und einem anderen Kaffeefüllstand beteiligt. Unterschiedliche Wissenschaftler haben sich mit diesem Dilemma befasst. Einer der bekanntesten von ihnen dürfte Paul Watzlawick sein. Er hat 5 Axiome aufgestellt, mit denen er versucht, die menschliche Kommunikation in Worte zu fassen und erklärbar zu machen.

Sein erstes Axiom ist vermutlich sein bekanntestes: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ Damit bringt er auf den Punkt, dass zur Kommunikation mehr als nur das gesagte Wort gehört. Um genau zu sein 9-mal mehr. Denn nur 7% der Botschaft, die ein Zuhörer wahrnimmt, lassen sich auf das gesagte zurückführen. Mehrabian fand in einer groß angelegten Untersuchung heraus, dass 38 % der Botschaft durch paraverbales Auftreten, wie Lautstärke oder Ausdruck und satte 55% mit nonverbalen Ausdrücken, wie Körperhaltung oder Mimik fallen.6Albert Mehrabian and Morton Wiener (1967), Decoding of Inconsistent Communications, Journal of Personality and Social Psychology, 6, 109-114 Auch die Positionierung im Raum, die sog. Proxemik, spielt dabei eine wichtige Rolle. Wer das nicht glaubt, muss sich in einem fast leeren Zug nur einmal direkt neben eine andere Person setzen und deren Mimik beobachten. Hall hat dafür unterschiedliche Distanzzonen definiert. Wir im Rettungsdienst bewegen uns häufig in der intimen Distanzzone, in der sich sonst nur enge Familie und Partnerinnen aufhalten dürfen. Bei der Versorgung muss uns das bewusst sein und das entgegengebrachte Vertrauen unserer Patienten sollten wir nicht enttäuschen.

Kommunikation gelingt deshalb so schwer, da der Sprechende die Nachricht erst in seinem Kopf formulieren muss und diese Idee dann in den Zuhörenden transportieren muss. Das dazwischen allein mechanisch viel schief gehen kann weiß jeder, der bereits einen Patienten auf einer lauten Autobahn versorgen durfte. Doch selbst wenn der Schall das Ohr der Zuhörenden erreicht, ist da kein Garant für Verständnis. Unterschiedliche Bilder im Kopf sorgen für eine andere Auslegung. Stolk et al.7Arjen Stolk, Matthijs L. Noordzij, Lennart Verhagen, Inge Volman, Jan-Mathijs Schoffelen, Robert Oostenveld, Peter Hagoort, and Ivan Toni (2014), Cerebral coherence between communicators marks the emergence of meaning, PNAS December 23, 2014,  111 (51) 18183-18188; https://doi.org/10.1073/pnas.1414886111 konnten sogar nachweisen, dass Zuhörende sich bereits Nachrichten und deren Bedeutung ausmalen, Millisekunden bevor der Sprechend einen Ton von sich gibt. Je besser die Nachrichten der beiden zusammenpassen, umso besser ist auch das Verständnis. Spektrum.de8https://www.spektrum.de/news/was-beim-sprechen-im-kopf-passiert/1547713 hat einen schönen Übersichtsartikel über dieses und weitere Phänomene zusammengestellt.

Bei allem Theoriewissen um Ursache und Wirkung von Kommunikation bleibt immer eines zu beachten: Der Empfänger macht die Nachricht!

Quellen & Literatur[+]

Melanie Schuler
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Frische 35 Jahre, Notfallsanitäterin, Praxisanleiterin, OrgL RD, Lehrkraft

Melanie Schuler
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