Bradykarde Rhythmusstörungen (Folge 10)

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Liebe FOAM-Community,

wir freuen uns sehr, dass ihr so zahlreich an unserem Gewinnspiel teilgenommen habt! In der letzten Folge haben wir euch die folgende Frage gestellt: „Wie oft wurden all unsere Folgen seit Beginn des Podcasts insgesamt – egal auf welcher Streamingplattform – schon gehört?“ Und hier kommt die Antwort: Insgesamt wurde unser Podcast seit Beginn bereits 6.579 mal angehört (Stand 02.02.2021). Und die Zahlen steigen von Folge zu Folge. Vielen lieben Dank für eure Treue beim Hören, das konstruktive Feedback und die lieben Nachrichten an uns! Die streng limitierten FEIN DOSIERT Emaille Tassen durften wir an Kira und Patrick versenden.

Auch zur letzten Folge haben wir viel Feedback bekommen und möchten das ein oder andere gerne nochmal kurz aufgreifen: In der Abbildung mit dem Akronym sind wir auf einen kleinen Schreibfehler aufmerksam gemacht worden. Statt „Anitkontrazeptiva“ muss es natürlich „Kontrazeptiva“ heißen. Die Abbildung haben wir korrigiert und euch in den Shownotes zur letzten Folge neu hochgeladen. Wir finden es super, wie die FOAM-Szene funktioniert und sind immer und jederzeit froh über Feedback von euch!

Nun aber zurück zu der nächsten Folge: Immer wieder erreichen uns Anfragen mit Themenvorschlägen für neue Folgen. Für das kommende Jahr haben wir uns vorgenommen, einige dieser Vorschläge aufzugreifen und fangen direkt damit an. Wie gewohnt haben wir eine Bolusgabe mit den wichtigsten Grundlagen zusammengepackt. Passend zum Notfallbild drücken wir die Notfallspritze hinterher und beim „Blick in die Bibliothek“ nehmen wir für euch einen Blickwinkel ein, der manchen so sicherlich noch nicht präsent war. Viel Spaß und danke für eure Treue!

Los geht’s:

Herzschlag = Stromschlag1Horacek T. Die Anatomie des Herzens und das Erregungsbildungs- und Erregungsleitungssystem. In: Horacek T, Hrsg. Der EKG-Trainer. 3. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2013. doi:10.1055/b-001-3180

60 –  100 mal schlägt unser Herz in jeder Minute. Und das in einer perfekten Abfolge von Muskelkontraktionen. Nur geringe Abweichungen von diesem präzisen Zusammenspiel aus Chemie, Physik und Biologie können zu lebensbedrohlichen Situationen führen.

Wie wir in Folge 9 bereits berichtet haben, besteht das Herz aus mehreren Schichten. Die dickste ist dabei das Myokard. Hier findet sich eine einzigartige und hoch spezialisierte Art von Muskelzellen. Die Zellen hier sind besonders miteinander verbunden. So kann Strom ohne Kabel von einer Zelle zur nächsten fließen.

Und unter diesen besonderen Zellen gibt es sogar noch bemerkenswertere. Diese „Schrittmacherzellen“ können sogar Strom erzeugen. Sie ziehen sich von den Vorhöfen bis in die Herzspitze. An manchen Stellen knubbeln sie sich sogar zu Knoten zusammen. Der erste Knoten liegt im rechten Vorhof. Er heißt Sinusknoten. Er ist der Taktgeber und bestimmt maßgeblich die Herzfrequenz. Der nächste Knoten liegt zwischen rechtem Vorhof (Atrium) und rechter Kammer (Ventrikel). Deshalb heißt er Atrioventrikularknoten, kurz AV-Knoten. Er sammelt den Strom, der über die Vorhöfe fließt. Ist genug Strom angekommen leitet er den Strom weiter in Richtung der Kammern. Er ist also quasi der Sicherungskasten der Kammern. Dank ihm führt ein Vorhofflimmern nicht zu Kammerflimmern.

Die vier Herzklappen bestehen aus einer harten Endothelschicht. Also nicht aus Myokard. Die Klappenebene leitet also keinen Strom. Dadurch stoppt die Erregung der Vorhöfe also an der Klappenebene. Zum Glück gibt es ja das His-Bündel. Dieser Kabelstrang leitet den Strom über die Klappenebene in die Kammern. Dort entspringen die drei Tawara-Schenkel. Der Ort, an dem ein Schenkelblock entsteht. Über diese Schenkel wird der Strom schnell zur Herzspitze geleitet. Viel schneller als über das Myokard. Schließlich leiten die feinen Purkinje-Fasern die Erregung ins Myokard. Dadurch beginnt die Kontraktion an der Herzspitze. Das Blut wird also aus den Kammern in Richtung der Taschenklappen gepresst.

Das Besondere an den Herzzellen ist auch, dass jede Zelle sich potenziell selbst erregen kann. Die Abschnitte der Reizleitung haben dabei unterschiedliche Frequenzen:

Sinusknoten60–80/min
AV-Knoten40–60/min
His-Bündel40–50/min
Tawara-Schenkel2Gödecke A, Schrader J, Kelm M. Erregungsausbreitung am Herzen. In: Pape H, Kurtz A, Silbernagl S, Hrsg. Physiologie. 9., vollständig überarbeitete Auflage. Stuttgart: Thieme; 2019. doi:10.1055/b-006-16328525-40/min

Das Myocard erregt sich normalerweise nicht selbst. Passiert das doch, entsteht ein Zusatzschlag. Eine Extrasystole. Mehr dazu aber in der nächsten Folge.

Herzschlaaaaaggggg – Wenn das Herz zu langsam ist

Stellen wir uns mal folgendes Szenario vor. Wir kommen als RTW zu einem männlichen Patienten, welcher uns zum einen bereits beim Herantreten und zum anderen durch unser schnelles Primary Survey einen kritischen Zustand präsentiert. Es wird immer von sogenannten Instabilitätszeichen oder auch bedrohlichen Anzeichen gesprochen. Diese können, gemäß der Guidelines folgende sein…

  • Schock (z.B. Blässe, Kaltschweissigkeit, Hypotonie, Vigilanzminderung)
  • Synkopen (Bewusstseinsverlust, rezidivierend, bei verminderter cerebraler Perfusion)
  • Myokardischämie (Thorakale Schmerzen, unauffälliges EKG –> NSTEMI)
  • Herzinsuffizienz (klassischen Zeichen eines Links- oder Rechtsherzversagen)

Präsentiert uns nun unser bradykarder Patient Instabilitätszeichen, oder besteht die Gefahr einer Asystolie (z.B. vorangegangene Asystolie, AV-Blockierung ab Typ Mobitz 2.Grades, oder ventrikuläre Pausen > 3 Sekunden) wäre nun die Gabe von Atropin, unter Berücksichtigung der Kontraindikationen, nach den Guidelines zu erwägen.

Jetzt gibt es den schönen Merksatz: „Je instabiler desto Strom“ Wie ihn vermutlich alle kennen und selbst schon gesagt haben. Die Abwägung, ob eine medikamentöse oder die Schrittmachertherapie begonnen wird, hängt stark vom Patientenzustand ab. Zu bedenken ist, dass eine Schrittmachertherapie bei wachen Patient*innen durchaus schmerzhaft ist. Das haben bereits vor längerer Zeit Martin und Philipp von Nerdfallmedizin sehr schön in einem Selbstversuch dargestellt. Wir verlinken euch das Video beim Blick in die Bib. Das Vorgehen müsst ihr individuell auch an euer jeweiliges Bundesland anpassen und abstimmen.

Widmen wir uns mal dem Pacing….

Der Vorteil der transkutanen Stimulation ist eindeutig die zügige Anlage und die relativ einfache Anwendung nach minimalem Training. Bei den meisten EKG Geräten im Rettungsdienst, die zur Schrittmachertherapie genutzt werden muss zusätzlich eine Ableitung über normale Elektroden geklebt werden. Gängiger Modus im Rettungsdienst ist der Demand-Modus. Hier wird der Rhythmus der Patient*innen analysiert, die QRS-Komplexe bewertet und bei Ausfall oder Fehlen eines Komplexes dementsprechend stimuliert. Wichtig ist eine stetige manuelle Kontrolle des Capture, also ob ein Auswurf stattfindet. Dieses am besten an der A. Femoralis um hier mögliches Muskelzucken im Bereich des Schrittmachers an der A. Carotis als fehlerhaften Auswurf zu interpretieren. Ist der Auswurf suffizient erreicht, ist es von Vorteil, die Stromstärke ca. 10 – 15 mA zu erhöhen.

Die Patches können entweder links anterior / posterior geklebt werden, wobei sich das bei instabilen Patient*innen als eher unpraktisch erweisen kann. Leichter im Handling ist hier, dass ihr die Elektroden wie bei der Reanimation anbringt. Vllt sind diese auch schon im Rahmen der Reanimationsbereitschaft geklebt worden, so muss die Position nicht mehr verändert werden. Bei allem gilt, Herstellerangaben können unterschiedlich sein und müssen beachtet werden.3Lott C. Erweiterte lebensrettende Maßnahmen Anwender Manual. European Resuscitation Council (Hrsg.). 7.Auflage

Atropin als Hauptvertreter der Parasympatholytika hemmt die Wirkung von Acetylcholin an den muskarinergen Rezeptoren des Parasympathikus. Atropin wirkt sowohl leicht auf die M1 AcH Rezeptoren des Sinusknoten als auch an den M2 AcH Rezeptoren des AV-Knoten. Die Blockade der M1 AcH kann durch eine geringe Dosierung von Atropin zu einer verstärkten Bradykardie führen. Das ist die, vermutlich vielen bekannte oder zumindest schon gehörte, paradoxe Wirkung bei Atropingabe. In der Literatur wird die Gabe unter 0,5mg als potenzielle Möglichkeit zur Herzfrequenzabnahme beschrieben. Als Indikation haben wir die hier beschriebenen bradykarden Herzrhythmusstörungen und als Antidot bei Intoxikationen mit Alkylphosphaten.

Die Dosierung bei der Bradykardie ist laut aktueller Guidelines 0,5mg i.v. eskalativ bis 3mg. Damit ist die mögliche maximale Herzfrequenzsteigerung erreicht. Kontraindikationen sind unter anderem Tachykardien, akute Lungenödem, Ileus, Megakolon, Myasthenia gravis, Engwinkelglaukom 😊

Nebenwirkungen auf die Patient*innen, wenn durch den Zustand möglich, vorbereitet werden sollten sind Mundtrockenheit, Mydriasis (Lichtempfindlichkeit), Tachykardien, reduzierte Schweißsekretion.

 Der Wirkstoff kommt auch in der Natur vor, als Inhaltsstoff der Tollkirsche (Belladonna).

In unserem aktuellen Blick in die Bibliothek haben wir einen bunten Mix aus verschiedenen Quellen zusammengefasst. Alles dreht sich natürlich rund um das langsam schlagende Herz und dessen Auswirkungen auf Diagnostik und Therapie.

Zunächst möchten wir euch nochmal ins Gedächtnis rufen, dass die Bradykardie auch dem Alter entsprechend bewertet werden muss. Sprechen wir beim Erwachsenen mit einer Herzfrequenz von um die 70/min nicht gerade von einem langsamen Herzrhythmus, so muss bei der gleichen Frequenz bei einem pädiatrischen Notfall die Alarmglocke schrillen! Also: Aufgepasst bei der Interpretation von Vitalwerten und Patientenalter:

AlterHerzfrequenzBlutdruck (RR syst.)
Neugeborene120 – 180 / Min.50 – 70 mmHg
Säuglinge100 – 140 / Min.70 – 90 mmHg
Kleinkinder90 – 120 / Min.80 – 100 mmHg
Vorschulkinder80 – 100 / Min.80 – 100 mmHg
Schulkinder70 – 90 / Min.90 – 120 mmHg
Jugendliche60 – 80 / Min.100 – 130 mmHg

            Quelle: Notfallsanitäter Heute5Luxem, J., Runggaldier, K., Karutz, H., Falke, F. (2020). Notfallsanitäter Heute. Elsevier Verlag

Schwierig zu merken? Das ist gut möglich. Wenn wir an unsere CRM-Grundsätze denken, ist es doch eben auch gut, wenn wir wissen, wo etwas steht. Also: Nutze Merkhilfen und schlage nach! 😊 Gerade für pädiatrische Notfälle gibt es hier unterschiedlichste Alternativen.

Passend zum Thema Bradykardie bei Kindern hat die Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie einen entsprechenden Algorithmus für pädiatrische Patient*innen aufgezeigt. Die Autoren der Leitlinie stellen für pädiatrische Patient*innen folgende Leitsymptome bei der Bradykardie dar: Schwindel, reduzierte Belastbarkeit, Herzinsuffizienz, Synkopen und der plötzliche Herztod.Y

Gerade die insuffiziente Zirkulation des Blutvolumens bei der Bradykardie erklärt, dass die kardiopulmonale Reanimation schon ab einer Herzfrequenz von unter 60/min angewiesen wird (Im Gegensatz zum Erwachsenen versteht sich).

Abb. 1 – Bradykardiealgorithmus der DGPK 20196Paul, T., Ruschewski, W., & Janousek, J. (2019). Bradykarde Herzrhythmusstörungen im Kindes- und Jugendalter sowie bei jungen Erwachsenen mit angeborenen Herzfehlern (EMAH). Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Kardiologie und angeborene Herzfehler

Auch hier werden die medikamentöse Maßnahmen mit Atropin und Adrenalin empfohlen. Ziel sollte im Verlauf aber auch hier eine TCP sein. Die ganze Leitlinie gibt’s frei verfügbar unter:

http://www.kinderkardiologie.org/fileadmin/user_upload/Leitlinien/2019_09_04_LL-Bradykardie_final.pdf

Apropos frei verfügbar:

In der FOAM-Szene (Free Open Access Medical Education) gibt es auch eine ganze Menge Artikel und Gedanken zum Thema Bradykardie. Diskussionen über Adrenalin vs. Supra oder die richtigen Einstellungen des TCP sind nur ein kleiner Einblick in die facettenreiche FOAM-Welt. Hier haben wir euch ein paar spannende Artikel verlinkt:

In einem Artikel auf DasFOAM wird ausführlich über die Verwendung von Adrenalin vs. Atropin bei der Bradykardie gesprochen. Spannende Abbildungen und Verweise machen die Diskussion über Atropin und Adrenalin sehr anschaulich und einprägsam. Unser Tipp: Unbedingt vorbeischauen!

Wer es lieber visueller mag, findet unter dem folgenden Link ein tolles Video der Nerdfallmediziner über das Thema Pacing:

Impfstoff, Ampulle, Injektionsfläschchen, Alu, KappeWeil das Rechnen in hektischen Situationen doch das ein oder andere mal Fehler-anfällig sein kann, haben wir euch nochmal eine kurze Anleitung zur Verdünnung von Supra zur Gabe bei der Bradykardie vorbereitet:

  • Unser Herz funktioniert sehr zuverlässig. Das liegt an der präzisen Abfolge der Reizleitung. Der Strom kommt aus dem Sinusknoten. Dort fließt er über die Vorhöfe in den AV-Knoten.  Der Sammelt den Strom und gibt dann den Reiz weiter über das His-Bündel, die Tawara-Schenkel und schließlich über die Purkinje-Fasern in das Kammermyocard.
  • Achte bei passenden Patient*innen immer auf die möglichen Instabilitätszeichen Schock, Synkope, Myokardischämie und Herzinsuffizienz. Weiter als relevant ist auf die Gefahr der Asystolie zu achten. Sofern möglich sollte die Therapie medikamentös durchgeführt werden. Aber, “je instabiler desto Strom” und deshalb sollte bei instabilen Patient*innen oder einer nicht passenden medikamentösen Therapie direkt an die Stromtherapie gedacht werden.
  • Atropin wird bei Erwachsenen in 0,5mg Schritten bis max. 3 mg titriert. Hier wird die maximale Herzfrequenzsteigerung erreicht. Bei Dosierungen unterhalb oder direkt bei 0,5mg kann es zu einer paradoxen Wirkung kommen. Da Atropin sowohl am M1 Rezeptor des Sinusknotens, als auch am M2 Rezeptor des AV-Knotens wirkt, wird bei zu niedriger Dosis primär der Sinusknoten gehemmt und es kann zur Verstärkung der Bradykardie kommen.
  • Adaptiere die physiologische Herzfrequenz immer an das Alter der Patient*innen. Für abweichende Vitalwerte ist es unbedingt ratsam, Nachschlagewerke zu nutzen (*YEAH* CRM 😊)
  • Nochmal CRM: Antizipiere und plane voraus! Überlege dir schon auf der Anfahrt zum Einsatz oder im Voraus, welche Dosierungsschemata einfach zurechtlegen kannst. Mit unserer Empfehlung kannst du leicht die richtige Dosis aus der Kurzinfusion abziehen
    (Ganz wichtig: Deutlich beschriften!!!)
  • Letzter Tipp: Tobe dich in der FOAM-Welt aus und erkunde Videos, Blogeinträge und Podcasts

Quellen & Literatur[+]

Marco Hanselka
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30 Jahre, Notfallsanitäter, Praxisanleiter, CRM-Instruktor, Lehrkraft

Marco Hanselka
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